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Martin Veigl

27.04.2023 - 08.09.2023

WERKE
 
What about Pictures
 
Seit Menschen bildend gestalten können, hinterlassen sie plakative Artefakte in ihrem Umfeld als Kommunikationswege von Erlebtem bis zu Gedachtem, die allgemein Interesse erwecken. Es fasziniert die jahrtausendelange Genese der Bilder mit Langzeitwirkung. Sie wurden bis in das frühe 20. Jahrhundert primär an Qualitätskriterien gemessen, die von stringenten Reglements aufgestellt waren, bis deren Kunstbegriff mit beginnender Moderne einen nachhaltigen Wandel erfuhr. Zu den Kunstmerkmalen der historischen Epochen zählte über Jahrtausende auch der Naturalismus in unterschiedlichen Gradstufen, da das Darstellungskönnen das vorrangige Beurteilungskriterium war. Mit ihm verband sich auch der Formbegriff bis zu dem Zeitpunkt, als ihn die Moderne im Zuge einer kompromisslosen Wahrheitssuche ins vorübergehende Nichts steuerte. Es war ein Auflehnen gegen die gestaltete Form, deren Ästhetik und ihre schöngeistigen Mitteilungen. Aus heutiger Sicht kann aber festgestellt werden, dass kein endgültiger Bruch stattgefunden hat, sondern dass Form und Farbe neu gesehen wurden und in markanter Veränderung begriffen waren, nicht mehr als feststehend, sondern als selbstdynamisch und prozesshaft. Zudem hatte die im 19. Jahrhundert aufstrebende Fotografie als akute Konkurrentin im Feld der sich rasant perfektionierenden Wiedergabe der Wirklichkeit mitgeholfen, die Bilder auf den Highway der Abstraktion zu steuern. Letztere erhielt ideelle und politische Untermauerungen und ließ in ihrer Zugkraft in Richtung Postmoderne nur allmählich nach. Unter diesen Prämissen musste sich die Gegenständlichkeit erst neu behaupten und einen zeitgemäßen Stand erreichen. Im Sinne des Stilpluralismus ist sie somit ein herausforderndes Kontinuum auch der Moderne und der Postmoderne.

Der in Österreich und in den Niederlanden ausgebildete Martin Veigl zählt eindrucksvoll zu diesen neuen Gegenständlichen der zeitgenössischen Malerei. Er hat die Kontroverse von Fotografie und bildender Kunst hinter sich gelassen und setzt den fotografisch festgehaltenen fruchtbaren Moment in eine formaffine und farbig dynamisierte Bildmitteilung um. Er hält in unmittelbarer Nahsicht Personen in Ereignis-Kommunikation fest. Sie treffen sich wie zufällig auf dem Bildträger und werden, frei von Inszenierung, zu wirkungsvollen Protagonist*innen, die die Betrachtenden in ihren Bann ziehen. Letztere können sich zwanglos miteinfinden. Spannung und inhaltliche Öffnung wird dadurch erzeugt, dass das Ereignis außerhalb der Bildfläche bleibt. Wir sehen also nur die Reaktionen, nicht deren Ursache. Somit ist nicht alles festgeschrieben. Das Gesehene darf weitergedacht werden. Oft wenden sich die sehr direkt charakterisierten Menschen ab, tragen schützende Sonnenbrillen und agieren untereinander. Sie liefern keine gewollten Posen ab, machen uns nichts vor. Sie erscheinen, wie sie sind. Ferner agieren sie dreidimensional in nebulosen Farbflächen, die Raum-Züge in sich tragen. Mit ihnen gewinnen zwischen den gegenständlich konkretisierten Bildbereichen formsprengende gestische Pinselstriche an Terrain – ein Gestaltungskriterium, das die form in progress durch die Bipolarität von geschlossener und offener Form anspricht. Sie ist dem beschleunigenden Wandel geschuldet.

Veigl zoomt in diesem Kontrastprogramm besonders Arme und Hände heran, die in mancher Position große kunstgeschichtliche Vorbilder umbauen. Ein intensiver Blick Veigls fällt dabei auf die Haut der meist sommerlich gekleideten Personen. Sie glänzt an erhabenen Stellen im sonnigen Bildlicht, das von ihr weiterwandert auf Haarsträhnen und Kleider, bis sich helle Spektralfarben zu den oben angesprochenen ausbrechenden Farbströmen verselbstständigen.

Die inhaltlich und formal aufgeladenen Bildkompositionen monumentalisieren sich durch ihre Unmittelbarkeit und vertreten mit gezielt gewählten Alltagsszenen als Gegenwartsbezug ein Interagieren von gestalteter Form und autonomer Farbe, die miteinander und gegeneinander antreten und gemeinsam auf subtile Weise Originalität regenerieren.

Margit Stadlober